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Orioxy / Album: The Other Strangers

Bild © Julie Brand
 
The Other Strangers
Album 2012

Gesucht und gefunden - Orioxy auf wildem Notenfang 
Vor der Bandgründung von Orioxy steht ein ungewisses Suchen. Daran beteiligen sich zunächst die israelische Sängerin Yael Miller, die auch Posaune und Piano beherrscht und die nach Aufenthalten in den USA und Frankreich schließlich in Genf hängen bleibt sowie die Schweizer Harfenistin Julie Campiche, die sich nach Lehr- und Wanderjahren in der Klassik dem Jazz zuwendet. In einem Genfer Jazzclub laufen sich beide über den Weg. Und aus der Ungewissheit eines Suchens heraus nimmt ein Duo Gewissheit an. Jedoch eins, in dem sich die beiden Künstlerinnen nicht genügen und nach einer Rhythmusgruppe lechzen. Über kurz und lang kommen der Kontrabassist Manu Hagmann und der Schlagzeuger Roland Merlinc hinzu und komplettieren das Quartett. 

Welt der Kontraste 
So unterschiedlich die kreativen Startvoraussetzungen sind, so zeitaufwändig verläuft die Findungsphase, um zur eigenen musikalischen Sprache und Form zu gelangen. Am Beginn des gemeinsamen Schaffens steht eine Welt der Kontraste: Yael Miller weiß zwar schon immer, dass sie letztendlich Sängerin werden will, doch bevor sie sich dem Jazz zuneigt, durchläuft sie Orientierungsphasen in der Rockmusik, Funk, Klassik oder Kial, einem klassischen Gesang aus dem Norden Indiens. Manu Hagmann wendet sich nach fast zehn Jahren E-Bassspiel in einer Funk-Rock Band. bewusst dem klassischen Jazz zu und greift zum Kontrabass.  
Julie Campiche spielt seit ihrem achten Lebensjahr klassische Harfe. "Erst vor sieben Jahren tritt der Jazz ernsthaft in mein Leben", erinnert sie sich, "ich lernte die Improvisation lieben und kriegte sie dennoch nicht hin. Doch die andauernde schöpferische Begegnung im Spiel mit den anderen Bandmitgliedern, öffnete mir eine Tür nach der anderen. Doch haderte ich lange Zeit damit, eine professionelle Musikerin sein zu wollen." Nach dem ersten Album "Tales" wird - nach Nelson Schaer - ein neuer Schlagzeuger ins Spiel gebracht: Roland Merlinc. "Durch den Franzosen wird die orioxyanische Welt der Kontraste um weitere Facetten erweitert", fährt Julie Campiche fort, "agierte er doch in der Tradition des französischen Chansons, widmete sich Soulklängen oder Heavy Metal, bevor er Jazz in den Trios von Mario Stantchev und Jean Baptiste Hadro für sich entdeckte." 

Puzzlespiel mit Formteilen 
"Wir haben lange Zeit in einem Stadium zugebracht, in dem unsere Musik auch für uns Bandmitglieder mehr Fragen aufwarf, als sie Antworten gab", wirft Julie Campiche ein Blick zurück, "beim gemeinsamen Spielen haben wir uns mit Haut und Haaren ins Spiel gestürzt und uns gegenseitig massiv gefordert. Abstand zum Gespielten konnte und sollte so nie entstehen. Deshalb haben wir alle Proben aufgenommen. Uns danach hingesetzt und das vorhandene Material in Puzzlestücke zerlegt und aus ihnen das endgültige Lied komponiert." Jazz? Avantgarde? Pop? Rock? Club? - wo bewegt sie sich den nun hin, die Musik, die Orioxy vom Stapel lassen? Sie durchpflügt mit geblähten Segeln, all diese Soundmeere, wirft das Netz aus und jedes Bandmitglied nimmt sich aus dem Notenfang, was just im Moment des Schaffens zum bereits Vorhandenen passt. So bewegen sich Orioxy in einer verblüffenden, doch äußerst persönlichen Klangwolke, welche die Blickmöglichkeiten des jeweiligen Instrumentes und des Gesangs auf einen neuen Horizont richtet. Zart rutscht dabei Yael Millers Stimme an den dicken Saiten des Kontrabasses entlang, langsam versuchen die Harfensaiten dem Bass den Rang abzulaufen und die Stimme abzuwerben. Doch entscheiden will sich die Stimme nie, sie flirtet mit jedem Instrument. Doch bleibt sie frei und ungezwungen und letztlich erweist sie keinem der Instrumente ihre Gunst und schwebt weiterhin ungebunden durch die Klangsphären von Orioxy. 
Die Überschrift "gesucht und gefunden" erhält somit doppelte Bedeutung, einerseits in Bezug auf die Entstehung der Band Orioxy und andererseits in Bezug auf die Findung einer eigenen kreativen Formsprache. Strahlt die erste Platte "Tales" noch deutlich Unfertigkeit und fortwährende Entwicklung aus, so ist "The Other Strangers" hörbar ausformuliert, reif und fertig. Und ist mit Sicherheit ein wunderbares Sprungbrett in eine fruchtbare musikalische Zukunft, ohne jedoch eine harte Genregrenzziehung vorzunehmen. 


Franz X.A. Zipperer
Jazz 'n' More / Nov. 2012

www.manusound.net